Köln, wir müssen reden! Report vom 02. Juli 2018

Unsere Demokratie – Kunst oder kann das weg?

Gäste: Malika Jakobs-Neumeier, amtierende Vorsitzende der Jusos Köln und Michael Neubert, langjähriges Ratsmitglied der SPD-Ratsfraktion in Köln

Ort: Zum Bunten Hund, Bülowstraße 62, Köln-Nippes

Köln, wir müssen reden. ist ein vom Landtagsabgeordneten Jochen Ott und der SPD Nippes veranstalteter Kneipentalk. Jeden Montagabend ein neuer Gast und ein neues Thema: 20 Minuten Impulsvortrag folgen 70 Minuten Diskussion in entspannter Atmosphäre – Aktiv mitmachen, Fragen stellen und mitdiskutieren ausdrücklich erwünscht!

Malika Jakobs-Neumeier ist die bisher jüngste Vorsitzende der Jusos Köln und steht in den Anfangsjahren ihres politischen Engagements. Sie ist darüber hinaus sowohl in der SPD, als auch in der Schülervertretung aktiv. Michael Neubert, langjähriges Ratsmitglied und Mitglied der Bezirksvertretung Kalk, schied aufgrund der großen Arbeitsbelastung nach vielen Jahren seines politischen Engagements freiwillig aus.

Unter der Moderation von Jochen Ott diskutierten Bürger*innen von Karneval bis zu den Sommerferien mit wechselnden Gastredner*innen leidenschaftlich über Themen von Antisemitismus bis Verkehrsbelastung. Zum letzten Termin vor der Sommerpause begrüßte Köln, wir müssen reden zwei Gäste zu einer ganz besonderen Diskussion. Mit Malika Jakobs-Neumeier und Michael Neubert wurde über nichts Geringeres als die Zukunft der Demokratie gesprochen. Dazu formulierte Jochen Ott eingangs einige Thesen über den Zustand der Demokratie. In der Folge berichteten Frau Jakobs-Neumeier und Herr Neubert ihrerseits von Erfahrungen rund um ihre politischen ehrenamtlichen Mandate.

Michael Neubert zufolge sei ein zunehmender Mangel an Respekt gegenüber Politikern jeder Ebene eine bedenkliche Entwicklung. Die meisten Bürger*innen seien sich nicht darüber im Klaren, dass politische Mandate auf kommunaler Ebene, wie z.B. ein Ratsmandat in Köln, im Gegensatz zu Land- oder Bundestagsmandaten nicht vergütet, sondern lediglich mit einer geringen Aufwandspauschale bedacht seien. Kommunalpolitiker würden oft große Teile ihrer Freizeit für ihr Mandat opfern und in ihrem eigentlichen Beruf kürzer treten. Nichtsdestotrotz würden an ein Ratsmitglied dieselben Erwartungen wie an einen Landtagsabgeordneten gestellt und Politiker aller Parteien und Ebenen häufig ohne Differenzierung über einen Kamm geschoren. Zudem sei das Handeln von Kommunalpolitikern oft sichtbarer, weswegen sie unmittelbarer verantwortlich gemacht würden. Dies geschehe in einer Zeit, in welcher verstärkt über Übergriffe auf Rettungssanitäter, Polizisten und andere Staatsbedienstete berichtet würde.

Die Motivation, sich politisch zu engagieren, liegt für Frau Jakobs-Neumeier in dem Wusch, Dinge zu verändern. Die Grenzen würden dabei zwar schnell aufgezeigt, nichtsdestotrotz sei es wichtig, v.a. junge Bürger*innen in den politischen Prozess einzubeziehen – Politik müsse Spaß machen. Dabei sollten Jung und Alt nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern voneinander lernen. In der Folge diskutierten die Gäste mit Frau Jakobs-Neumeier, Herrn Neubert und Herrn Ott über einige Thesen und offene Fragen:

· Die Gesellschaft ist zunehmend von einer Schnelllebigkeit geprägt, in der eine Flut an Informationen nur noch oberflächlich verarbeitet werden kann. Dabei ist es einfacher, emotional statt sachlich zu argumentieren, was Populisten in die Karten spielt – diese sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Traditionelle demokratische Strukturen sind für diese Entwicklung zu langsam, da sie von Diskussion und Kompromiss leben. Politisch bewirkte Veränderungen brauchen Zeit, um von Bürger*innen wahrgenommen zu werden.

In Zeiten, in denen eine Gesellschaft „von Hype zu Hype“ lebe, würde nach Meinung vieler Gäste das Wesentliche aus dem Auge verloren. Ausschlaggebend für Bürger*innen seien nicht die Art der politischen Strukturen und ihrer bürokratischen Vorgänge. Den meisten ginge es nicht mal mehr um das Thema Geflüchtete, sondern primär um die grundlegende gesellschaftliche Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Zudem seien den Bürger*innen kommunalpolitische Entwicklungen, also beispielsweise die Frage, ob um die Ecke ein Spielplatz gebaut würde, oft wichtiger als „große“ europapolitische Fragen.

· Dem System fehlt es an Führungskräften und Charakteren, die der Demokratie ein Gesicht geben. Eine zunehmend unzureichende politische Bildung und veraltete Strukturen höhlen die Demokratie aus, während der Ton in Medien und Öffentlichkeit zunehmen kritischer wird. In einer „Gesellschaft der Singularitäten“, lassen Individualismus und fehlende Kompromissbereitschaft offen, was das verbindende Element der Demokratie ist.

Vermehrt wurde die Forderung laut, dass Politik wieder mit Leben und Inhalten gefüllt werden müsse. Dazu müsse man die politische Bildung stärken. Zudem würden sich viele Bürger*innen wünschen, dass Politiker*innen „Klartext“ reden und Themen zugespitzt und leidenschaftlich vermittelten. Äußerungen solcher Art würden jedoch, je nachdem von welcher Partei sie kämen, in der öffentlichen Wahrnehmung unterschiedlich bewertet. Dort gehe es zudem oft nicht darum, wer man als Politiker*in sei, sondern zu wem man vom politischen Gegner und den Medien gemacht würde.

· Bei weitem nicht mehr alle Bürger*innen sehen die Schaffung von Gerechtigkeit als Legitimierung der Demokratie als gegeben und fühlen sich von der politischen „Klasse“ zunehmend entrückt. Parteien haben durch eigene Fehler und interne Richtungsstreitigkeiten an Vertrauen verloren.

Bei dem Thema Vertrauensverlust existiere das Dilemma, dass zwar Politiker mancher Parteien, wie z.B. der SPD, ihre Nebeneinkünfte transparent machen würden. Die größten Profiteure von Nebentätigkeiten, z.B. aus den Reihen der CDU, täten das mitunter nicht und schadeten so dem Ruf aller Parteien, da auch hier verallgemeinert würde.

Zudem wurde leidenschaftlich über die Positionierung der SPD gestritten. Viele Bürger*innen nähmen durch den Schritt der SPD in die Mitte des Parteienspektrums einen Profilverlust wahr. Es wurde angeführt, dass die SPD nicht aus einer Position der Mitte sondern verstärkt aus dem Interesse seiner eigenen Klientel heraus argumentieren und seine Positionen deutlich machen solle. Hinter historische Erfolge der SPD, wie das Wahlrecht, das Streikrecht und die Eröffnung von Bildungschancen für die breite Bevölkerung könne man einen Haken machen. Nun brauche es neue Visionen für die Partei: die Herausforderungen von Modernisierung und Innovation seien dabei Chance und Auftrag für die SPD und zugleich Möglichkeit, ihr Profil zu schärfen. Dabei könne die SPD auch Gefühle, wie z.B. das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit, ansprechen, müsse dies dann aber auch durch ein konkretes Programm unterstützen.

Als neue Impulse für eine moderne Demokratie wurden abschließend verschiedene Ansätze in den Raum gestellt: Eine Anhebung der Parteienfinanzierung würde Parteien von dem Kostendruck befreien und eine konsequente Information der Bürger*innen über ihre politische Arbeit ermöglichen. Vor diesem Hintergrund könnte eine Informationskultur etabliert werden, in deren Rahmen Bezirksbürgermeister*innen in regelmäßigen Abständen über politische Vorhaben und Maßnahmen informieren könnten. Eine Wahlpflicht, die Nichtwähler*innen die Möglichkeit der Begründung ihres Wahlverhaltens gibt wurde ebenso diskutiert wie eine Ausweitung des Wahlrechts auf Jüngere und ausländische Bürger*innen.

Um alle Punkte angemessen bis zum Ende zu diskutieren, reichten 90 Minuten auch dieses Mal leider nicht aus. Insofern freut sich Köln, wir müssen reden auf die Fortführung nach der Sommerpause!

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