Lieferdienst

Liefern am Limit. Gute Pizza – schlechtes Gewissen?

Liefern am Limit. Gute Pizza – schlechtes Gewissen?

Köln, wir müssen reden! Report vom 30. September 2019

Gastredner: Keno Böhme

Ort: Zum Bunten Hund, Bülowstraße 62, Köln-Nippes

„Köln, wir müssen reden“ ist ein vom Landtagsabgeordneten Jochen Ott und der SPD Nippes veranstalteter Kneipentalk. Jeden Montagabend ein neuer Gast und ein neues Thema: Auf 20 Minuten Impulsvortrag folgen 70 Minuten Diskussion in entspannter Atmosphäre – Aktiv mitmachen, Fragen stellen und mitdiskutieren ausdrücklich erwünscht!

Am 30.09.2019 durfte „Köln, wir müssen reden“ Keno Böhme von Liefern am Limit, einem offiziellem Projekt der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, begrüßen. Diskutiert wurde über die aktuelle Situation der Fahrradkuriere und wie wir als Gesellschaft und vorallem wie die Politik mit dem Wandel in der Arbeitswelt durch die Digitalisierung umzugehen haben.

Heutzutage liest man fast wöchentlich in Interviews und Reportagen über die unvorstellbaren Arbeitsbedingungen und Machenschaften der Dienstleistungsanbieter in Deutschland. Nach dem Lesen von solchen Artikel ist die Frage, wieso Menschen unter diesen Bedingungen arbeiten gehen, die erste die man sich stellt. Dies war auch die erste Frage, die sich Keno Böhme der Projektsekretär von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und Social-Media Manager von Liefern am Limit stellen musste. Seine interessante Antwort war, dass der Job vergleichbar mit dem eines Schiedsrichter auf dem Fußballplatz sei. Man mache den Job an sich gerne und hätte auch Spaß an diesem, aber dieser würde durch die Bedingungen des Arbeitgebers getrübt. Deswegen sei es für ihn umso wichtiger, für seinen Job und für bessere Arbeitsbedingungen für sich und seine Kollegen zu kämpfen.

In Deutschland haben sich die Lieferdienst-Anbieter vor allem in den größeren Städten des Landes einen schonungslosen Krieg um die Vorherrschaft des Marktes geliefert. In den letzten Jahren ist der deutsche Markt durch Übernahmen und das Zurückziehen einzelner Firmen in großen Bewegungen gewesen. Das Ergebnis von diesem Machtkampf ist, dass takeaway.com (Foodora, pizza.de, Lieferheld, lieferservice.de& Lieferando) eine Art Monopolstellung in Deutschland errungen hat. Der einzige Konzern, der dem ganzen noch Paroli bieten konnte (Deliveroo), hat sich im vergangenen Jahr aus dem Deutschland-Geschäft zurückgezogen. Durch diese Umstellungen und Übernahmen haben vor allem die Arbeitsbedingungen der Arbeiter sowie die Arbeiter selbst drunter gelitten. So berichtetet Keno, dass Deliveroo bei seinem Rückzug aus Deutschland zuerst den Bestandskunden dies mitgeteilt hat, ehe die Mitarbeiter davon erfuhren. Außerdem hat takeaway.com bei der Übernahme von Foodora (ehem. Delivery Hero) die für die Branche moderaten Arbeitsbedingungen von der hauseigenen Tochterfirma Lieferando an die bekannten schlechten Verhältnisse von Foodora nach unten angepasst hat.

Keno betont, dass man von Firma zu Firma unterscheiden muss in Bezug auf Arbeitsbedingungen, da dort gehörige Unterschiede vorhanden sind. Dies sei ihm während seiner Tätigkeit bei drei verschiedenen Lieferdienstanbietern aufgefallen. Nichts desto trotz sind seine Berichte zu den jeweiligen Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Betrieben ernüchternd und klingen unvorstellbar in einem Land wie Deutschland. So gab er unter anderem an, dass es mehrmals Vorfälle bei Deliveroo gab, wo in den Winter Monaten die Löhne ausfielen, dass Mitarbeiter, die sich kritisch äußerten oder es in Betracht zogen, einen Betriebsrat zu gründen, fristlos gekündigt wurden oder der befristete Vertrag nicht verlängert wurde (Deliveroo &Foodora). Außerdem erzählt er, dass Unterschiede in der Beschaffung von der Ausstattung der Kuriere in den Firmen herrsche. So verlangen einige Anbieter von ihren Mitarbeitern, dass sie die eigene Kleidung und das eigene Fahrrad bereitstellen und die Boxen, in denen dass Essen transportiert wird, mit nach Hause nehmen müssen. Eine Entschädigung seitens der Firma bezüglich eines Verschleißes der eigenen angeschafften Geräte oder allgemeine Pauschalen ,wie in anderen Berufen, gibt es nicht und finden auch keinen Gehör in der Branche. Herr Böhme kritisiert dabei gleichermaßen die Rolle der Justiz, da Klagen, die eine Entschädigung für die Arbeitnehmer beinhalten, ins Leere laufen, da man den Grad eines Verschleißes am Fahrrad oder am Handy nicht bestimmen und so keine Entschädigung ausgezahlt werden kann. Desweiteren bemängelt er, dass es keine Verbandsklagen Möglichkeit für Arbeitnehmer gibt und so jeder Kampf alleine geführt werden muss.

Arbeitsbedingungen dieser Art dürfen keine Basis in diesem Land finden, da vor allem die aufgrund der Digitalisierung des Arbeitsmarktes neu-entstehenden Konzerne die bestehenden Lücken in den veralteten Arbeitsschutzgesetzen ausnutzen und daraus ihren Profit schlagen. Die Gewerkschaft NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten) prangert dies an und fordert, dass wenn ein fairer Lohn und ein allgemeines Arbeitsrecht für das Unternehmen nicht finanziell tragbar sind, dann darf eine solche Firma in Deutschland sein Geschäft nicht ausführen. Ein Konzern, welches auf Ausbeutung seiner Arbeiter beruht, kann keinen Platz in unserem Land haben und ist nicht unterstützenswert. Wer, wenn nicht die SPD muss dieses Thema angehen und für die Rechte der Arbeiter in den neuen Berufsfeldern wie Kuriere aller Art oder sogenannten „Juicern/Chargern“ eintreten.

Der digitale Wandel im Arbeitsbereich schreitet unaufhaltsam voran und stellt unser Leben, so wie wir es kennen, auf den Kopf. Deswegen müssen wir uns die Frage stellen, wie wir eine faire und gerechte Arbeit im digitalen Zeitalter gewährleisten können. Hier ist die Politik gefordert unsere bereits bestehenden und funktionierenden Arbeiterschutzgesetzte in das neue Zeitalter zu überführen, sowie die bereits bestehenden Strukturen so zu formieren, um bestehende Schlupflöcher schließen zu können. Nur so können wir es schaffen, dass Arbeitnehmer für den Schritt ins digitale Zeitalter gewappnet sind.

Posted by Daniela Richardon in Veranstaltungsberichte, 0 comments